Grade ist Leichtathletik-WM. Und weil ich früher auch mal aktiv war schaue ich da tatsächlich gern rein. Am Wochenende dann 100 m-Herren-Finale. Ein Brimborium sondergleichen, hört doch der Herr Bolt nach dieser WM auf. Hauptsächlich weil er endlich die Füße hochlegen und fettig essen will, was mir grundsätzlich sehr sympathisch ist. Im Endlauf ebenfalls dabei: Justin Gatlin. Zweimal Doping-gesündigt, bei weitem kein lässiger Showman wie Bolt, dazu noch versehen mit dem Label „Verräter“, weil er als Kronzeuge gegen seinen damaligen Trainer ausgesagt hat und sich gewissermaßen ein Wiederstartrecht erkauft hat. Gut gegen Böse also.

Die versammelten Medien haben sich das Finale in London folgendermaßen vorgestellt: Auf die Plätze, fertig, los, Bolt liegt zu Anfang hinten, nach 40 Metern zündet er den üblichen Turbo und fliegt als Sieger durchs Ziel. Good fights evil.

Abgelaufen ist es ein bißchen anders: Bolt startet schlecht, liegt nach 40 Metern irgendwo in der Mitte des Feldes, ein junger Amerikaner liegt vorne und scheint den Lauf zu gewinnen, da fliegt der böse Justin Gatlin auf der Außenbahn an allen vorbei ins Ziel.

Schockstarre und Buhrufe im Publikum.

Und die Läufer? Bolt gratuliert Gatlin herzlich, umarmt ihm, spricht ihm ins Ohr. Gatlin löst sich von Bolt, fällt vor ihm auf die Knie und verbeugt sich, Respekt für eine lange Siegesserie.

Die Medien? Erbost.

Ich für meinen Teil finde die Reaktion der Sportler überragend. Gatlin, der seit Jahren permanent ausgebuht wird – er durfte starten. Und das tat er. Die Eier muss man erst mal haben, bei dem Gegenwind nicht das Handtuch zu werfen. Täglich weiter zu trainieren und sich jedes mal aufs Neue dieser Stimmung auszusetzen. Natürlich hätte er nach zwei Dopingvergehen gesperrt bleiben müssen. Aber das System wurde aufgeweicht. Und Usain Bolt? Lässt sich auch nicht zum Spielball machen. Geht auf „das Böse“ zu. Umarmt Gatlin und wertschätzt seine Leistung.

Das finde ich ehrlich groß. Entgegen der vorherrschenden Stimmung, entgegen Hype und Schreierei einfach mal ein bißchen leiser sein. Und respektvoller. Und fairer.

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