Ich gebe zu: Ich bin ein bißchen betrunken, während ich diesen Text in den Laptop tippe. Und versuche parallel mich mit Snickers-Mini-Würfeln ins Zuckerdelirium zu schießen. Weil: Vor mir im Fernsehen läuft: „Schlagerchampions“. Untertitel – bitte anschnallen – „Das Große Fest der Besten“.

Wie konnte es soweit kommen? Ich, als eingefleischte Indie- und FM4-Hörerin, die sich mit Jazz befasst und manchmal Klassik mag sitzt vor dieser, pardon, Zombie-Veranstaltung? Ich bin nicht sicher. Plötzlich war die Tagesschau vorbei und bunte LED-Lichter verhießen gleichermaßen Großes wie Tragisches. Ich blieb dran. Es erschien Florian Silbereisen. Mit gewohnten V-Ausschnitt-T-Shirt, skinny Jeans und Biker-Boots. Dazu ein pflichtschuldig bei jedem Song auf eins und drei klatschendes Publikum und – nunja – Künstler. Eine junge Frau, die ihren Song in Schwarz beginnt, sich die Klamotte anschließend vom Leib reißt, um ihr dann weißes Kostüm mit bunten Farben anschmieren zu lassen. Hey, Holi-Festival ist grade in, das zieht! Ein Duo, das aussieht wie die Auferstehung von Modern Talking, sich Fantasy schimpft, und etwas von „Geistern der Nacht“ singt. Der eine Typ dunkelhaarig, der Blonde klopft hin und wieder auf die E-Gitarre, alles schon gewesen. Dann Flori als Boyband-Hupfdohle in seiner Band Klubbb3. Ich bin mittlerweile bei Bier hoch drei und habe den Mund durchgehend offen. Circa 15 Tenöre – oder waren es 12 – singen ein Lied von Dalia Lavi, die im Mai 2017 verstorben ist. Währenddessen stehen verschiedene Familienangehörige der Verstorbenen am Bühnenrand und kämpfen mit den Tränen. Das ist nicht berührend, das ist übel. Und jetzt: Helene Fischer. Die sich zwischendurch – Kicherkicher – dringend umziehen muss, na da kann doch der Flori helfen.

Das ganze wirkt wie ein Mash-Up aus allem, was irgendwie nach Einschaltquote riecht: Pomp meets Pyrotechnik meets youporn meets Großraumdisko und irgendwas mit Gefühl. Ich schätze die Worte, die heute Abend am häufigsten meinen Gehörgang touchiert haben sind: Liebe, Nacht, Du, Himmel, Sterne und Herz.

Und doch gibt es da diesen einen Moment, der die Sterilität der wie in Frischhaltefolie eingepackte Sendung sprengt, der einen Riss in die PET-Hülle reißt: Die 80jähre Nana Mouskouri scheint tatsächlich live zu singen. Leise. Nicht immer auf den Punkt. Und sie singt: Lily Marlen. Und Hey Jude. Und die Leute singen mit. Und ganz kurz blitzt ein Hauch Authentizität durch.

Ganz kurz.

Dann wenden wir uns ganz schnell wieder den cheesy Schlager-Schmier-Fetzen zu:

Nur Du und ich, was andres brauch ich nicht.
Wenn man dran glaubt, dann werden Träume war.

Ich trinke noch mein Bier aus und dann werde ich vermutlich träumen. Von Geistern in der Nacht. Achterbahn. Himmel, Sterne und ein Lichter-Meer. Bevor Du mich tausend mal betrügen kannst oder endlich nein sagst. Sag mal spürst Du das? Und morgen früh hoffe ich inständig: Du holst mich hier raus. Whoop-Whoop.

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